ORN #17 Der Mann hinter Pornhub

Mit wenigen Klicks lassen sich weitere Accounts einer gesuchten Person finden. Im Werkstatt-Interview berichtet der britische Journalist Xavier Greenwood, wie er mit seinem Team einen der mächtigsten Männer des Internets aufgespürt hat. Willkommen zur Ausgabe #17.
WhatsMyName: Der Account-Schnüffler

Bitte gehen Sie weiter. Auf meinem Instagram-Account gibt es nichts zu sehen. Screenshot: WhatsMyName
Wofür braucht man das? Häufig dreht sich eine Online-Recherche um die Frage: Was macht eine bestimmte Person noch so im Internet? Das Browser-Tool "WhatsMyName" hilft dabei, weitere Online-Accounts einer Person zu entdecken.
Wie funktioniert das? Viele Plattformen erstellen für ihre Nutzer:innen eine Profilseite mit dem jeweiligen Spitznamen in der URL. Zum Beispiel gibt es für meinen Twitter-Account die URL www.twitter.com/sebmeineck. Möchte man herausfinden, ob ein beliebiger anderer Spitzname bei Twitter registriert ist, kann man einfach die URL entsprechend anpassen nach dem Schema: www.twitter.com/NAME. Genau das macht auch "WhatsMyName" – nur durchkämmt das Tool rund 300 Plattformen innerhalb von Sekunden.
Was muss man beachten? Das Tool ist besonders hilfreich, wenn die gesuchte Person einen möglichst einzigartigen Spitznamen auf vielen Plattformen nutzt. Bei mir landet "WhatsMyName" gleich mehrere Treffer. Sogar mein inaktiver Soundcloud-Account ist dem Tool nicht entgangen.
Sherlock: Noch ein Schnüffler

Screenshot: SherlockProject
Wofür braucht man das? Sherlock ist eine nützliche Ergänzung zu "WhatsMyName". Beide Tools machen das gleiche, spucken aber teilweise verschiedene Ergebnisse aus.
Wie funktioniert das? Sherlock wird von anderen Menschen entwickelt und gepflegt als "WhatsMyName". Außerdem läuft Sherlock nicht im Browser, sondern per Kommandozeile. Wer sich jetzt denkt: "Kommandozeile? Kenn ich nicht!" – keine Sorge. Auf YouTube gibt es ein Schritt-für-Schritt-Tutorial.
Was muss man beachten? Keines dieser Tools findet immer alle Accounts. Es lohnt sich, mehrere Werkzeuge parallel zu verwenden. Bis vor kurzem konnte zum Beispiel nur Sherlock meinen inaktiven TikTok-Account finden, nicht "WhatsMyName". Heute schaffen es beide Tools.
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Holehe: Der E-Mail-Tester

Screenshot: Megadose/ Holehe
Wofür braucht man das? Mit Holehe lassen sich Spuren einer Person im Netz finden, wenn man nur ihre E-Mail-Adresse kennt. Das Tool findet heraus, auf welchen Plattformen Accounts mit genau dieser E-Mail-Adresse vorliegen.
Wie funktioniert das? Möchte man sich bei einer Plattform neu registrieren, muss man meist eine E-Mail-Adresse angeben. Falls es auf der Plattform aber schon einen Account mit genau dieser Adresse gibt, kommt eine Fehlermeldung. Das macht sich Holehe zunutze. Das Tool klappert mehr als Hundert Plattformen mit der jeweils gesuchten E-Mail-Adresse ab – und lernt dabei, wo diese Adresse bereits registriert ist.
Was muss man beachten? Mit Holehe lässt sich zwar herausfinden, auf welcher Platform ein Account mit einer bestimmten E-Mail-Adresse existiert – nicht aber, wie der Account heißt. Holehe lässt sich wie Sherlock per Kommandozeile steuern. Alternativ gibt es eine Browser-App.
Interview: Die Suche nach dem geheimen Pornhub-König

Xavier Greenwood, Patricia Clarke, Alexi Mostrous | Fotos: Tortoise Media, mit freundlicher Genehmigung
Wer steckt hinter der Pornoplattform Pornhub, eine der meistbesuchten Websites der Welt? Pornhub steht international in der Kritik wegen gefilmter, sexualisierter Gewalt und ohne Einverständnis verbreiteter Aufnahmen. Der Haupteigentümer der Pornhub-Mutter MindGeek, Bernd Bergmair, meidet die Öffentlichkeit.
Erst Recherchen der britischen Nachrichtenseite "Tortoise Media" konnten Bergmair dieses Jahr aufspüren. Im Interview berichtet Journalist Xavier Greenwood, wie er mit Patricia Clarke und Alexi Mostrous einen der mächtigsten Männer des Internets gefunden hat. Das Gespräch wurde auf Englisch geführt.
Xavier, was wusstet ihr zu Beginn der Recherche über den Mann hinter Pornhub?
Sehr wenig. Die Öffentlichkeit erfuhr erst im Dezember 2020 von einem gewissen Bernd Bergmair, als die Financial Times einen Artikel über die Finanzen von MindGeek brachte. In diesem Artikel wurde erstmals enthüllt, dass Bergmair der Haupteigentümer ist. Aber sein Name war anders geschrieben: Bergemar. Einige Monate später enthüllte die “Globe and Mail" in einem Follow-up, dass Bergmair aus Österreich kommt.
Was war euer erster Durchbruch?
Wir haben einen Account mit dem Namen Bernd Bergmair auf Facebook gefunden, aber er war privat. Also haben wir ein OSINT-Werkzeug genutzt, um mehr darüber herauszufinden. Ich glaube, es war intelx.io. Das Tool lieferte ein Foto, aufgenommen in den Hollywood Hills. Ein Schauspieler hatte es hochgeladen, und Bernd Bergmair war darin markiert.
Woher wusstet ihr, dass es sich um den Bergmair handelt, den ihr sucht?
Wir dachten nicht sofort, dass er das ist. Die "Globe and Mail" hatte geschrieben, es gebe noch ein verschwommenes Foto von Bergmair, und zwar in einer Veröffentlichung der Chicago Business School über Alumni aus Österreich. Wir haben es mit einer Google-Suche gefunden und mit der Person auf Facebook verglichen. Beide waren sich einigermaßen ähnlich, aber sicher waren wir uns immer noch nicht. Doch dann fanden wir weitere Fotos von Bergmair auf Facebook, bei denen die Hashtags #Austria und #Linz standen.
Ein klares Indiz! Was habt ihr dann gemacht?
Das erste Facebook-Foto, das wir gefunden hatten, zeigte neben Bergmair eine Frau namens Priscila. Sie stand ihm offenbar nahe. Wir wussten nichts über sie. Also haben wir sie auf Instagram gesucht – und tatsächlich gefunden, in den hinteren Suchergebnissen. Vielleicht hatten wir so viel Glück wegen der besonderen Schreibweise: Priscila mit nur einem "l". Sie ist Influencerin, zeigt Reisefotos und Mode. Und dann haben wir herausgefunden, dass Priscila einem Account namens "Priscila Bergmair" folgt. Wir vermuteten, das könnte ihr privater Account sein – und dass sie Bergmairs Frau ist.
"Manchmal musst du durch die Vordertür gehen."
Wie habt ihr herausgefunden, wo die Bergmairs leben?
In den Firmenunterlagen hieß es, Bergmair sei wohnhaft in China. Doch in Priscilas Instagram-Bio stand London. Nicht in einer Million Jahren hätten wir erwartet, dass er so nah ist! Priscila hat einen Blog, der auch in ihrer Instagram-Bio verlinkt ist. Er zeigt Kopien ihrer Instagram-Fotos und schien zunächst nicht besonders nützlich. Aber dann hat sich der Blog als äußerst nützlich herausgestellt.
Was habt ihr auf dem Blog gefunden?
Wenn du Fotos hochlädst, entfernen Facebook und Instagram die Metadaten, inklusive GPS-Daten, die deinen genauen Standort verraten können. Aber manche Blogs tun das nicht. Ich habe also 40 bis 50 Fotos von Priscila in einen Exif Viewer geladen, um die Metadaten auszulesen. Eines davon verriet einen genauen Standort. Ein Haus in einem der reichsten Viertel Londons. Wir haben Satellitenaufnahmen des Hauses mit Instagram-Uploads von Priscila verglichen, die einen Garten zeigen. Sie stimmten überein. Das Haus war nur wenige Meilen von unserem Büro entfernt.
Und dann habt ihr Bernd Bergmair getroffen.
An einem frühen Montagmorgen haben meine Kolleg:innen in der Straße bei seinem Haus gewartet. Wir hatten zuvor versucht, Bergmair online zu kontaktieren, und keine Antwort erhalten. Nach ein paar Stunden Warten erschien Bergmair plötzlich, und mein Kollege Alexi Mostrous ging mit einem Mikrofon zu ihm.
Die Aufnahme ist in eurem Podcast zu hören. Alexi sagt: "Viele der Opfer wollen dringend wissen, was Sie darüber denken, dass Pornhub viele schreckliche Videos auf der Plattform zulässt." Aber Bergmair hat geschwiegen. War es das wert?
Ja. Bergmair ist der Haupteigentümer von Pornhub. Wir haben mit vielen Opfern gesprochen, deren Aufnahmen ohne ihr Einverständnis auf der Plattform dieser Firma hochgeladen wurden. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir die Gelegenheit hatten, Bergmair dazu Fragen zu stellen. Und dass er die Gelegenheit hatte, zu antworten.
Ein Pornhub-Sprecher teilt vor dem Hintergrund der Recherche mit: Die Sicherheit der Pornhub-Community habe höchste Priorität. Pornhub habe Uploads von nicht-verifizierten Nutzer:innen gestoppt, die Download-Funktion abgeschafft, die Moderation erweitert und arbeite mit Dutzenden NGOs weltweit zusammen. Pornhub habe “die umfassendsten Sicherheitsvorkehrungen in der Geschichte von Plattformen mit nutzergenerierten Inhalten".
War eure OSINT-Recherche so einfach, wie es klingt?
Nein. Wir haben einige Dinge ausprobiert, die nicht geklappt haben. Zum Beispiel haben wir Fotos von einem Bauernhaus in Österreich gefunden. Wir vermuteten, das Haus gehört Bergmair. Ich war lange Zeit davon besessen, es mit Satellitenbildern zu finden. Ich dachte, das kann keine so schwere Aufgabe sein. Am Ende hat sich herausgestellt, das hat nichts gebracht.
Was hast du während der Recherche über OSINT gelernt?
Eine Menge. Es ist "trial and error". Viele Dinge klappen nicht. Du musst dich hinsetzen und überlegen: Wie kriege ich die Info, die ich brauche? Es gibt immer etwas, das dich weiterbringt. Überraschenderweise haben die komplizierten Sachen fast nie funktioniert. Ehrlich! Was funktioniert hat, waren die offensichtlichen Sachen. Ein Bild auf Facebook, Followings auf Instagram, Metadaten eines Fotos. Das war wohl meine wichtigste Lektion: Manchmal musst du durch die Vordertür gehen und schauen, ob du durchkommst.
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Lieben Dank fürs Lesen und viel Erfolg bei der Recherche!
– Sebastian