ORN #25 Quelle: Instagram
Instagram ist eine wertvolle Quelle für Recherchen. Mit den passenden Tools lassen sich innerhalb von Sekunden spannende Kontakte aufspüren, Videos sichern und Follower:innen-Listen abgreifen. Auf Instagram begann auch die Undercover-Recherche von Carla Siepmann. Im Interview erzählt sie von digitaler Gewalt in Anorexie-Communitys. Willkommen zu Ausgabe #25.
– Sebastian Meineck
Picuki: Instagram-Inhalte ohne Login sichten und speichern
Screenshot: Picuki
Wofür braucht man das? Picuki ist ein alternativer Zugang zu Instagram. Eigentlich lässt sich das soziale Netzwerk ohne Login am Laptop kaum durchsuchen. Inhalte können nicht unmittelbar heruntergeladen werden. Picuki macht Instagram ohne Login-Zwang durchsuchbar und bietet Downloadbuttons zum Speichern von Fotos und Stories. Stories sind Videoclips, die nach nach einem Tag wieder verschwinden.
Wie funktioniert das? Alternative Viewer wie Picuki greifen automatisch auf die Inhalte von Instagram zu. Es handelt sich nicht um offizielle Angebote. Deshalb gibt es keine Garantie, dass sie die Inhalte von Instagram aktuell, korrekt und vollständig wiedergeben.
Was muss man beachten? Instagram verdient Geld mit eigenen Werbeanzeigen – und die werden in Angeboten wie Picuki nicht ausgespielt. Entsprechend hat die Plattform wenig Interesse daran, dass solche Angebote florieren. In den letzten Jahren ist mir aufgefallen dass alternative Instagram-Viewer plötzlich nicht mehr funktionieren. Das könnte auch Picuki passieren. Alternativen ließen sich bislang aber schnell ergoogeln.
Likeometer: Die Influencer:innen-Datenbank
Screenshot: Likeometer
Wofür braucht man das? Likeometer ist ein detailliertes Verzeichnis von Instagram-Influencer:innen. Die Datenbank eignet sich, um Trends zu beobachten und interessante Ansprechpersonen zu finden. Die Suche lässt sich nach Regionen eingrenzen (weltweit, Deutschland, Österreich, Schweiz, Italien) sowie nach Themen, unter anderem "Fashion", "Food" und "LGBT". Die Ergebnisse können nach Anzahl Follower:innen geordnet werden.
Wie funktioniert das? Auf einer Infoseite präsentiert sich Likeomoeter als ein "von Hand kuratiertes Verzeichnis". Es erhebt also keinen Anspruch darauf, jeden Account zu erfassen. Die Daten stammen direkt von Instagram. So erfasst und visualisiert Likeometer unter anderem das Follower:innen-Wachstum. Eine entsprechende Statistik der letzten Wochen ist gratis einsehbar, für ältere Daten braucht es einen kostenpflichtigen Premium-Account.
Was muss man beachten? Wer Likeometer durchsuchen will, muss sich zunächst kostenlos registrieren. Bei der Registrierung muss man schriftlich begründen, warum man die Datenbank nutzen möchte. Die primäre Zielgruppe sind wohl Interessierte aus dem Online-Marketing. Ich habe bei der Anmeldung angegeben, dass ich Likeometer für journalistische Recherchen nutzen möchte und wurde freigeschaltet.
Vielen Dank an die 15 Menschen, die aktuell den Online-Recherche Newsletter auf Steady unterstützen. 🙏 Das entspricht 0,01 Prozent der Abonnent:innen. Wer findet, das ist zu wenig 🤏, kann das jetzt hier ändern. 💛
OSINTgram: Scraper für Instagram
Screenshot: OSINTgram
Wofür braucht man das? Ein Instagram-Account ist voll öffentlicher Daten: Follower:innen, Followings, Kommentare, Likes und so weiter. Darin lassen sich oft weitere Spuren und interessante Kontaktpersonen finden. Um sie alle zu sichten, müsste man aber stundenlang herumscrollen. Ein Scraper wie OSINTgram kann all diese Daten automatisch erfassen und speichern. Das hilft vor allem bei größeren Accounts mit Hunderten Datenpunkten.
Wie funktioniert das? OSINTgram sammelt innerhalb von Sekunden Daten, für die ein Mensch stundenlange Fleißarbeit aufwenden müsste. Mit dem kostenlosen Tool lassen sich etwa alle Follower:innen, Followings oder Kommentare eines gewünschten Instagram-Accounts anzeigen. Leider bietet OSINTgram dafür keine praktische Nutzungsoberfläche. Die Software muss per Kommandoziele gesteuert werden. Das ist am Anfang ungewohnt, lässt sich aber mit Tutorials erlernen.
Was muss man beachten? Um überhaupt auf Instagram zugreifen zu können, benötigt OSINTgram die Login-Daten eines Instagram-Accounts. Dafür sollte man unbedingt einen Zweitaccount anlegen. Instagram kann sich gegen automatisierte Datenabfragen wehren und den Account sperren.
Triggerwarnung: Essstörungen. Infos, Hilfe und Beratung gibt es hier.
Interview: Undercover in einer Magersucht-Community
Carla Siepmann | Foto: Kauffmann Studios
Anorexie ist eine potentiell tödliche Erkrankung, umgangssprachlich bekannt als Magersucht. Betroffene vernetzen sich im Internet – und treffen dort auf Männer, die ihre Notsituation ausnutzen. Die Schülerin Carla Siepmann hat die Community in einer Undercover-Recherche erkundet. Sie ist Chefredakteurin der Schüler:innen-Zeitung "Moron" des Carl-von-Ossietzky-Gymnasiums in Berlin. Ihre Reportage ist auch bei der taz erschienen.
Carla, was bedeutet "Pro-Ana"?
"Ana" steht für Anorexie. "Pro-Ana" ist die Bezeichnung für eine Netz-Community aus Betroffenen. Das sind meistens Mädchen und Frauen, die froh sind, Gleichgesinnte gefunden zu haben. Sie schließen sich in Gruppen zusammen und "motivieren" sich, ihre Essstörung mit allen möglichen Mitteln zu praktizieren.
Wie bist du auf die Community gestoßen?
Das Thema Essstörungen ist sehr präsent in meiner Altersgruppe. Alle kennen den Selbstoptimierungstrend, der auf Instagram propagiert wird. So landet man schnell auf Pro-Ana-Accounts. Ich dachte mir, das ist doch ein Thema für die Schülerzeitung.
Was waren deine ersten Recherche-Schritte?
Zuerst bin ich auf Instagram vielen Accounts von Betroffenen gefolgt. Sie posten unter bestimmten Hashtags, die Essstörungen, insbesondere Anorexie und Bulimie, verherrlichen. Ich nenne die Hashtags in meinem Artikel bewusst nicht, um keine Anleitung dafür zu geben, wie man Zutritt zu der Community bekommt. Dann habe ich weitere Websites gegoogelt. Die ersten Suchergebnisse sind Präventionsangebote, auf den hinteren Seiten wird man fündig. Ich wollte zuerst lernen, welche Sprache und Begriffe die Betroffenen nutzen. Zum Beispiel personifizieren sie die Krankheit. Als ich der Meinung war, tief genug drin zu sein, habe ich mich selbst als Betroffene ausgegeben und Kontakt aufgenommen.
Du hast nicht nur mit Betroffenen geschrieben, sondern auch mit "Pro-Ana-Coaches". Was ist das?
Das sind mutmaßlich Männer, die Betroffenen angeblich dabei helfen, Anorexie zu praktizieren. Das ist sehr gefährlich. Die "Coaches" bieten sich auf Kontaktbörsen an. Ich habe sie durch Googeln gefunden und sehr viele angeschrieben, ausschließlich über den anonymen Messenger Kik. Die Mädchen in einer Ana-Gruppe haben mir vehement von solchen "Coaches" abgeraten. Ein Mädchen schrieb, der Kontakt zu zwei solcher "Coaches" wäre die schlimmste Erfahrung ihres Lebens gewesen.
"Einer wollte, dass ich mich vor der Kamera drehe"
Was haben dir die "Pro-Ana-Coaches" geschrieben?
Der Umgangston war teilweise harsch bis beleidigend, andere gaben sich eher freundlich und zugewandt. Ein "Coach" hat mich "Specki" und "Fetti" genannt. Alle waren darauf aus, möglichst schnell freizügige Bilder von mir zu bekommen. Ohne Bilder haben sie den Kontakt sofort abgebrochen. Es war schwer, Fragen zu stellen. Ein "Coach" hat gefragt, ob ich ein "Cop" sei. Einer wollte, dass ich mich vor der Kamera drehe, jedes Stück Fett zeige und ihm sage, was ich alles dafür tun würde, schön zu sein. Das habe ich nicht gemacht. Ich habe zwei sehr unverfängliche Bilder von meinem Bauch verschickt, um das Gespräch am Laufen zu halten. Für mehr war ich nicht bereit.
Also diese "Coaches" missbrauchen die Notlage der Betroffenen, um ihre eigenen Machtfantasien auszuleben ?
Ich bin keine Psychologin, aber bei den "Coaches" ging es meiner Meinung nach um Macht. Ich habe gemerkt, dass es gut ankommt, wenn ich mich devot und verzweifelt gebe. Betroffene in der Pro-Ana-Community sind extrem vulnerabel und angreifbar. Das nutzen diese Männer aus. Die "Coaches" haben versucht, ein Abhängigkeitsverhältnis aufzubauen. Einer wollte, dass ich ihn "Sir" nenne. Ein anderer wollte eine intime Beziehung. Sexualisierte Aufnahmen von Minderjährigen werden auch auf Online-Schwarzmärkten gehandelt. Es kann ein lukratives Geschäft sein, solche Aufnahmen von verletzlichen Mädchen zu erzwingen.
Wie hast du dich bei der Recherche selbst geschützt?
Pro-Ana geht einem sehr nah und ich halte das für extrem gefährlich. Ich habe mir immer wieder klar gemacht, dass ich mir das nur zu Reportage-Zwecken anschaue. Mit dieser innerlich aufgebauten Distanz konnte ich die Recherche gut bewältigen. Ich habe mich auch mit meinen Co-Redakteur:innen ausgetauscht, mit meinen Eltern natürlich und mit dem betreuenden Lehrer.
Hast du dich nach der Undercover-Recherche gegenüber den Betroffenen als Journalistin zu erkennen gegeben?
Nein. Ich glaube, das wäre demütigend für sie gewesen wären, weil sie teilweise sehr intime Informationen mit mir geteilt haben.
Welche Folgen hatte die Recherche?
Es gab ein wenig mediale Aufmerksamkeit. Der Bayerische Rundfunk ist kurz nach der Veröffentlichung auf mich zugekommen und hat zu dem Thema eine Reportage für "Puls" gedreht. Ob mein Artikel in den Pro-Ana-Gruppen besprochen wurde, weiß ich nicht. Ich habe sie nach der Recherche verlassen.
Teile deine Recherche-Skills mit anderen 🤝
und leite den Newsletter jetzt an eine Kolleg:in weiter
Alle Werkzeuge schnell und einfach wiederfinden: Ein mit Schlagworten durchsuchbares Archiv der bisherigen Beiträge gibt es auf ornarchiv.wordpress.com. Und hier ist eine übersichtliche Linkliste mit noch mehr Tools. Lieben Dank fürs Lesen und viel Erfolg bei der Recherche!
– Sebastian