ORN #27 Firmen-Konstrukte durchleuchten
Störrische Suchmasken, haufenweise PDFs – Online-Recherchen zu Firmen sind nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig. Einfacher wird es mit ein paar nützlichen Anlaufstellen und einer Tabelle. Und seit August sind Recherchen im deutschen Handelsregister ergiebiger als je zuvor. Willkommen zu Ausgabe #27.
Open Corporates: Internationaler Überblick
Screenshot: Open Corporates
Wofür braucht man das? Zu Beginn einer Firmen-Recherche gibt Open Corporates einen schnellen Überblick. Als Suchbegriffe eignen sich etwa die Namen von Geschäftsleuten oder Unternehmen. Angezeigt werden unter anderem Adressen, Handelsregisternummern und Verbindungen zu anderen Firmen.
Wie funktioniert das? Je nach Firmensitz müssen Unternehmen unterschiedliche Papiere veröffentlichen. Open Corporates ist ein Aggregator, der mehrere Quellen bündelt und durchsuchbar macht. Nach eigenen Angaben sind bereits rund 200 Millionen Unternehmen Teil der Datenbank.
Was muss man beachten? Ohne eine Tabelle verliere ich bei Firmen-Recherchen den Durchblick. Ich nutze eigene Spalten für unter anderem Firmen, Adressen, führende Personen und Eigentumsverhältnisse. Oft haben mehrere, relevante Firmen dieselbe Adresse – und relevante Personen haben mehrere Firmen. Daraus ergeben sich neue Suchanfragen. Wichtige Funde bei Aggregatoren wie Open Corporates lassen sich in amtlichen Dokumenten aus Handelsregistern überprüfen. Dort stehen mitunter weitere Namen und Anschriften. Es entsteht ein Ping Pong zwischen Aggregator und amtlichen Quellen, während die Tabelle wächst.
North Data: Überblick für Deutschland
Screenshot: North Data
Wofür braucht man das? North Data ist eine nützliche Ergänzung zu Open Corporates, falls sich die Recherche auf Europa beschränkt. Der Aggregator bündelt Informationen zu Firmen aus unter anderem Deutschland, Österreich, Schweiz, Luxemburg, Polen und Großbritannien. Suchen lassen sich beispielsweise Geschäftsleute und Unternehmen. Tippt man die ersten Buchstaben in die Suchleiste, gibt es automatisch generierte Suchvorschläge.
Wie funktioniert das? North Data hat Daten zu mehr als 4 Millionen Unternehmen in Deutschland erfasst, in Großbritannien sind es ungefähr 8 Millionen. Geld verdient der Anbieter mit kostenpflichtigen Premium-Accounts für erweiterte Suchfunktionen. Journalist:innen können laut Website kostenfreie Investigativ-Accounts beantragen.
Was muss man beachten? Ergänzend zu North Data können amtliche Dokumente aus den jeweiligen Handelsregistern belegen, ob alle Angaben korrekt, aktuell und vollständig sind. Ich glaube, es ist normal, dass man sich bei einer Firmen-Recherche desorientiert fühlt. Über die Jahre ändern Unternehmen ihre Namen, lösen sich auf, gründen sich neu oder kaufen sich gegenseitig. Manche Geschäftsleute bauen bewusst schwer durchschaubare Geflechte.
Handelsregister: Offizielle Quelle für Firmen-Recherchen
Screenshot: handelsregister.de
Wofür braucht man das? Die Handelsregister der jeweiligen Staaten sind Fluch und Segen bei der Firmen-Recherche. Segen, weil die amtlichen Dokumente harte Belege liefern – und Hinweise für weitere Suchanfragen. Fluch, weil die Websites oft umständlich zu bedienen sind, und weil manche Dokumente etwas kosten. Bevor man in ein Handelsregister abtaucht, lohnt es sich, auch bei Aggregatoren wie Open Corporates oder North Data einen Überblick zu gewinnen.
Wie funktioniert das? Die amtliche Anlaufstelle für deutsche Firmen ist handelsregister.de. Bis Anfang August gab es hier nur wenige Dokumente kostenlos – inzwischen hat sich das geändert und die Bezahlschranke ist weg. Grund dafür ist die Umsetzung einer EU-Richtlinie. Diese Änderung ist krass und geht manchen Datenschützer:innen sogar zu weit. Die Bedienung von handelsregister.de ist nach wie vor gewöhnungsbedürftig. An einem Tag im Mai hatte die Suche beispielsweise mit Firefox nicht funktioniert. Eine alternative Suchfunktion für amtliche Dokumente aus Deutschland bietet unternehmensregister.de.
Was muss man beachten? Andere Länder, andere Handelsregister. Hier gibt es eine Übersicht zu den Anlaufstellen verschiedener Staaten. Bei fremdsprachigen Websites hilft die Browser-Erweiterung Google Translate. Teilweise sind die Websites noch unpraktischer als in Deutschland. Manchmal gibt es aber auch positive Überraschungen, wie das angenehm bedienbare Handelsregister aus Tschechien.
Der Online-Recherche Newsletter ist kostenlos. 📨 Auch wer knapp bei Kasse ist, soll ihn lesen können. Wenn du etwas im Monat übrig hast, 👛 kannst du mit einer freiwilligen Mitgliedschaft auf Steady zeigen, dass guter Journalismus nicht umsonst ist. 💛
Interview: Die Reichtümer von Putins Oligarchen
Catharina Felke | Foto: Tom Linecker
Was besitzen die Superreichen aus dem Umfeld von Wladimir Putin? Das dokumentiert das internationale Journalismus-Netzwerk OCCRP (Organized Crime and Corruption Reporting Project) im "Russian Asset Tracker". Für den NDR hat Catharina Felke recherchiert. Im Interview erklärt sie, wie Oligarchen ihre Besitztümer verschleiern.
Catharina, was kann man aus dem "Russian Asset Tracker" lernen?
Alle von uns recherchierten Personen lassen sich dem Umkreis von Wladimir Putin zuordnen, viele von ihnen stehen außerdem auf der Sanktionsliste der EU. Das heißt, ihre Vermögen außerhalb Russlands können wegen des Angriffskriegs auf die Ukraine von Sanktionen betroffen sein. Wir haben herausgefunden, dass sich mindestens 15 Milliarden Euro an Vermögenswerten nachweisbar außerhalb Russlands befinden. Damit können wir erstmals konkret aufzeigen, über welche Dimensionen von Reichtum wir hier sprechen.
Wie habt ihr das herausgefunden?
Durch die Kooperation von 25 internationalen Medien kam ein riesiges Know-how zusammen: Das OCCRP recherchiert seit Jahren zu russischem Vermögen, der NDR hat viel Erfahrung mit Datenlecks wie den Pandora Papers. Jedes Medium hat für sein jeweiliges Land die Recherche übernommen, ausgetauscht haben wir uns dazu in Signal-Gruppen. Bei der Recherche war es uns wichtig, dass alle genannten Vermögenswerte klar belegbar sind. Wenn wir zwar viele Indizien hatten, aber keinen harten Beleg, dann haben wir diesen Fund nicht veröffentlicht.
Wie recherchiert man die Besitztümer von Oligarchen?
Sagen wir, ich recherchiere zu Roman Abramowitsch, er steht auf der EU-Sanktionsliste. Menschen, die viel Vermögen besitzen, lassen das in der Regel nicht auf ihren Namen laufen. Also erkunde ich sein Umfeld: Familienmitglieder, Kinder, Frauen, Ex-Frauen, Geschwister, Cousins, häufige Geschäftspartner. Die schreibe ich mir auf. Und dann suche ich in Datenbanken wie dem Handelsregister auch nach diesen Menschen. Dabei muss man zusätzlich beachten, dass sich zum Beispiel die Schreibweise der russischen Namen in Dokumenten unterscheiden kann. Ich notiere mir zu den Personen auch das Geburtsdatum, sobald es in Dokumenten auftaucht. Oft ergibt sich relativ schnell ein Netz aus Firmen und Namen, die immer wieder erscheinen. Und oft laufen die Fäden bei zwei, drei Personen zusammen.
Welche Quellen nutzt du genau?
Um ein erstes Gefühl zu bekommen, ist Genios.de eine nützliche Datenbank. Du kannst dort unter anderem nach Firmen suchen. Viele Dokumente sind zwar kostenpflichtig, aber in der kostenlosen Vorschau findest du wichtige Informationen wie die Handelsregisternummer. Damit kannst du wiederum auf handelsregisterbekanntmachungen.de kostenlos Abfragen machen wie zum Beispiel Bekanntmachungen über Geschäftsführer. Die Dokumente gehen allerdings nur bis in die Mitte der 2000er-Jahre zurück. Sobald ich eingrenzen kann, wozu ich mehr wissen will, ziehe ich kostenpflichtige Dokumente hinzu. Als Teil des NDR Investigativteams kann ich außerdem in Leaks recherchieren wie den Pandora Papers oder den Suisse Secrets. Im besten Fall sammelst du sukzessive jene Belege, die zeigen: Diese Firmen mit diesen Grundstücken, Häusern oder Yachten lassen sich eindeutig dieser Person zuordnen.
Solche Leaks sind exklusiv. Lohnen sich solche Recherchen auch ohne Leaks?
Es lohnt sich immer! Ich habe solche Recherchen auch gemacht, bevor ich Zugang zu Datenleaks hatte. Vieles kann über öffentlich zugängliche Dokumente recherchiert werden. Und: Daten sind wichtig, aber nicht die ganze Geschichte, es braucht immer auch das Reporting vor Ort.
Recherchen in Firmenpapieren frustrieren mich oft. Der Kopf brummt, es wird immer komplexer, und man kann sich darin verlieren.
Das kenne ich.
Wie hast du den Frust überwunden?
Wir haben uns eine harte Deadline gesetzt. Das war's! Mir hat das geholfen zu wissen, ich darf mich verlieren, aber nur bis zu diesem Punkt. Die Kunst bei diesen Recherchen ist oft ein Gleichgewicht zwischen explorativem und strukturellem Suchen zu finden.
Welche Folgen hatte die Veröffentlichung?
Die EU hat in der Zwischenzeit weitere Sanktionspakete gegen russische Oligarchen und deren Familien erlassen. Wir wissen nicht, inwieweit unsere Recherchen dazu beigetragen haben, auch nicht, inwieweit gewisse Vermögenswerte dadurch erst bekannt wurden. Aber das ist auch nicht unsere Aufgabe. Wir werden auf jeden Fall weiter machen und den Russian Asset Tracker laufend ergänzen.
Teile deine Recherche-Skills mit anderen 🤝
und leite den Newsletter jetzt an eine Kolleg:in weiter
Alle Werkzeuge schnell und einfach wiederfinden: Ein mit Schlagworten durchsuchbares Archiv der bisherigen Beiträge gibt es auf ornarchiv.wordpress.com. Und hier ist eine übersichtliche Linkliste mit noch mehr Tools. Lieben Dank fürs Lesen und viel Erfolg bei der Recherche!
– Sebastian