ORN #31 Mein wichtigstes Werkzeug
Neben einer Tasse Kaffee gehört zu meiner Morgenroutine der Streifzug durch den Feed-Reader. Damit lassen sich Dutzende Quellen ohne viel Klickarbeit abchecken und sogar Nischenthemen im Blick behalten. Ein paar einfache Tricks genügen, schon lässt sich auch euer Feed-Reader zu einem mächtigen Monitoring-Tool aufrüsten. Im Interview berichtet BBC-Journalistin Runako Celina, wie sie ein rassistisches Videos bis zur Quelle verfolgt hat. Willkommen zur Ausgabe #31.
Feed-Reader: Den Nachrichtenfluss bündeln
Screenshot: Flym
Wofür braucht man das? Ein Feed-Reader lenkt das vielfältige Geschehen im Internet in geordnete Bahnen. Er listet neue Inhalte übersichtlich auf, ähnlich wie ein E-Mail-Posteingang mit Filtern. Ob Ressorts auf Nachrichtenseiten, laufende Anfragen bei Frag Den Staat oder Social-Media-Accounts – das und viel mehr lässt sich übersichtlich bündeln. Meine Feeds zu sichten gehört zu meiner Morgenroutine seit ich Tech-Journalist bin. Es gibt mehrere Feed-Reader, zum Beispiel den "Inoreader" (iOS, MacOS, Android, Windows, Browser) oder die quelloffenen Reader "Feeder" (F-Droid) und "Flym" (F-Droid; Play Store).
Wie funktioniert das? Feed-Reader dampfen die Vielfalt von Online-Inhalten herunter auf einheitliche Bausteine wie Titel, Datum und Beschreibung. Viele Websites bieten eigene Feeds für Ressorts und Themen an, zum Beispiel der SPIEGEL. Alternativ lassen sich fehlende Feeds mit Online-Werkzeugen selbst nachbauen. Bei der ersten Nutzung füttert man den Reader mit den gewünschten Feeds, später lassen sich die eigenen Feeds bequem als Bündel exportieren.
Was muss man beachten? Feeds sind kein Mainstream, die meisten Menschen verlassen sich einfach auf die kuratierten Inhalte von Nachrichtenseiten und Social-Media-Plattformen. Entsprechend hat das Feed-Angebot für viele Anbieter keine Priorität. Doch nach ein wenig Handarbeit können Feeds das tägliche Monitoring aktueller Nachrichten enorm beschleunigen.
Google Alert als Feed: Individuelles Internet-Radar
Screenshot: Google Alerts
Wofür braucht man das? Ein Google Alert liefert aktuelle Treffer aus mehreren Quellen zu einem beliebigen Suchbegriff. So lassen sich Neuigkeiten zu Personen oder Themen langfristig verfolgen. Ich habe zum Beispiel einen Google-Alert für den Porno-Konzern Mindgeek, weil ich kontinuierlich über dessen netzpolitische Regulierung berichte. Um neue Google Alerts bequem in meiner Morgenroutine zu sichten, gieße ich sie in meinen Feed-Reader.
Wie funktioniert das? Die Funktion ist etwas versteckt. Der Klickweg lautet: bei Google einloggen > google.de/alerts öffnen > in der Leiste "Alert erstellen für..." das gewünschte Stichwort eintippen > bei mehreren Wörtern Anführungszeichen nicht vergessen > Optionen anzeigen > senden an > RSS-Feed > Alert erstellen > Feed-Symbol anklicken > URL aus Browserleiste kopieren > dem eigenen Feed-Reader hinzufügen.
Was muss man beachten? Google ist eine der mächtigsten Suchmaschinen der Welt, doch in die Entwicklung der Google Alerts steckt der Konzern offenbar nicht so viel Energie. Gelegentlich landen wichtige Neuigkeiten verspätet im Feed oder ältere Suchergebnisse werden als neu verkauft. Dennoch sind Google Alerts eine riesige Hilfe, wenn man an Themen dranbleiben will, die auch mal monatelang ruhen.
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Morss.it: Was nicht RSS-t, wird RSS-end gemacht
Screenshot: morss.it
Wofür braucht man das? Bietet eine Online-Quelle keine eigenen Feeds an, lässt sich mit Werkzeugen wie morss.it ein Ersatz basteln. Mit ein paar Mausklicks muss man dem Tool verraten, welche Elemente einer Website etwa Titel, Datum und Beschreibung sind. Schon generiert das Werkzeug den Link für einen Feed, den man nur noch in den eigenen Feed-Reader kopieren muss.
Wie funktioniert das? Technologisch sind Tools wie morss.it kein Hexenwerk, sie brauchen aber Server-Kapazität. Morss.it ist ein quelloffenes, werbefreies Projekt. Der Entwickler bittet um freiwillige Spenden. Es gibt auch kommerzielle Alternativen, bei denen zumindest eine Handvoll Feeds kostenlos ist, etwa politepol.com und fetchrss.com.
Was muss man beachten? Händisch gebaute Feeds gehen kaputt, sobald ein Anbieter seine Website umbaut. Es braucht im Lauf der Monate etwas Pflege, damit die Nachrichten immer fließen. Doch der Aufwand lohnt sich: Es ist einfach ein schönes Gefühl zu sehen, wie Nachrichten aus dutzenden Quellen jeden Tag übersichtlich auf dem eigenen Bildschirm erscheinen.
Interview: Reise zum Ursprung eines viralen Videos
Foto: Runako Celina, BBC
Triggerwarnung: Rassismus; Ausbeutung von Kindern
Runako Celina ist Investigativ-Journalistin bei der BBC. Für die Dokumentation "Racism For Sale" hat sie einen chinesischen Filmemacher aufgespürt. In Malawi hat er Schulkinder dabei gefilmt, wie sie im Chor chinesische Grußworte aufsagen. Die Kinder hielten ihn für einen Lehrer – doch dahinter steckt eine Geschichte von Rassismus und Ausbeutung. Das Interview wurde auf Englisch geführt.
Runako, mehr als ein Jahr lang hast du versucht, einen chinesischen Einwanderer in Malawi zu finden. Warum?
Wir glauben, er steckt hinter einem viralen Video, das stellvertretend für eine ganze Branche steht. Es zeigt afrikanische Kinder aus Malawi, die sich selbst auf Mandarin beleidigen. Sie sagen: "Ich bin ein schwarzer Teufel" – was sich auch mit dem N-Wort übersetzen lässt –, "mein IQ ist niedrig". Das Video tauchte im Jahr 2020 in chinesischen sozialen Medien auf. Es landete auch in einer der afrikanischen Chatgruppen, in denen ich Mitglied war, während ich in Peking lebte. Solche Videos kann man kaufen, sie sind in China sehr beliebt. Die Preise beginnen bei 30 US-Dollar. Kund*innen können frei wählen, was die Kinder sagen, etwa ein Geburtstagsgruß. Aber dieses Video war abscheulich.
Moment, Kund*innen überlegen sich irgendeinen Text, und die Kinder müssen das vor der Kamera sagen?
Ja, es gibt viele solcher Angebote. Der Filmemacher hat den Eltern erzählt, er bringe den Kindern nur Chinesisch bei.
Wie hast du versucht, ihn zu finden?
Es erschien unmöglich. Das Video wurde immer wieder neu hochgeladen, und es gab eine Menge anderer Videos mit ähnlichen Kindern an ähnlichen Orten. Die erste Spur waren die roten Kostüme der Kinder. Mit umgekehrter Bildersuche haben wir den Artikel eines Journalisten von France24 gefunden. Er hat geschrieben, dass diese Videos in Malawi gedreht werden.
Viele der Videos kursieren auf Douyin, der chinesischen Version von TikTok. Ich habe nach Accounts gesucht, die als Geotag "Malawi" verwenden und Begriffe wie "African blessing video". Dort habe ich Accounts gefunden, die Videos mit denselben Kostümen an einem unglaublich ähnlichen Ort hochladen. Aber viele Accounts haben einfach die Videos von anderen kopiert. Also habe ich mir die Follower*innen, Kommentare und Likes angeschaut und versucht, einen Account mit einem echten Gesicht zu finden. Das hat ungefähr einen Monat gedauert. Es war ziemlich frustrierend.
Was war dein Durchbruch?
Über Kommentare auf Douyin habe ich den Account eines chinesischen Mannes gefunden, der sich später als der mutmaßliche Filmemacher herausgestellt hat. Er hat Videos von sich selbst an einem Ort hochgeladen, der dem Dorf aus dem viralen Video verblüffend ähnlich sah. Einen zweiten Account von ihm haben wir auch gefunden; beide hatten auf Douyin miteinander interagiert.
"alle Anschuldigungen bestritten"
Wir haben also Hunderte Videos von ihm gesichtet und dabei eines entdeckt, in dem er seinen Ausweis zeigt. So konnten wir ihn als L. identifizieren. Ich habe also auf Facebook nach einem L. aus Malawi gesucht und ein Profil mit nur 14 Facebook-Kontakten entdeckt. Einer von ihnen war ein Journalist aus Schweden. Ich habe ihn kontaktiert und konnte es kaum glauben: Der Kollege hatte L. tatsächlich vor Jahren in Malawi getroffen! Aber wir hatten immer noch nicht seinen aktuellen Aufenthaltsort.
Und dann?
In einem anderen Video hat L. das Schild einer Firma gefilmt: Shabri Building Solutions Limited. Wir hatten vergeblich versucht, das Unternehmen auf LinkedIn zu finden. Auf Facebook haben wir ehemalige Mitarbeiter*innen gefunden. Sie haben uns geschrieben, die Firma sei in der Nähe des Njewa-Markts. Wir haben uns dann Satellitenbilder aus dem Jahr 2020 angeschaut und gesehen: Njewa und die Umgebung der Videos stimmen überein.
So mündete die OSINT-Recherche in einer Reise, und du bist nach Njewa in Malawi geflogen.
Die Leute in Njewa haben uns direkt von einem chinesischen Filmemacher erzählt. Vor der Konfrontation haben wir aber einen Undercover-Journalisten engagiert. Er hat L. mit einer versteckten Kamera getroffen – unter dem Vorwand, sich für Geschäfte mit ihm zu interessieren. Er hat ihm auch das virale Video gezeigt. Zuerst hat L. zugegeben, es selbst gedreht zu haben, dann behauptete er plötzlich, es habe ein Freund gefilmt.
Ihr zeigt Aufnahmen des Gesprächs in der Doku. L. hat extrem rassistische Dinge gesagt, etwa dass Menschen in Malawi einen verdorbenen Charakter hätten und alle gleich aussähen. Ihr zeigt auch Interviews mit den Familien. Demnach soll L. die Kinder beim Dreh mit einem Stock geschlagen haben. Je mehr man in der Doku von ihm erfährt, desto mehr kommt er wie ein Superschurke rüber.
Es ist wichtig zu betonen, dass L. alle Anschuldigungen bestritten hat, als wir ihn als Journalist*innen konfrontiert haben. Er bestritt, die Kinder geschlagen zu haben, das virale Video gedreht zu haben und sogar die rassistischen Dinge vor der Kamera gesagt zu haben. Die Geschichte von L. ist aber nicht eindimensional. Er wurde mir als ein Ausgestoßener beschrieben – nicht etwa wegen seiner rassistischen Ansichten, sondern wegen seiner Klasse. Er kam aus einer ländlichen Stadt in China mit wenig Bildung. Vor der Pandemie sind viele Chines*innen nach Afrika ausgewandert, er war einer davon. In Malawi fand sich L. plötzlich in einer Machtposition wieder. Die Menschen betrachteten ihn als weiß und verbanden mit ihm Geld und Reichtum. Im Film war wenig Zeit, um mehr darüber zu erzählen.
In der Doku hast du die Videos von L. als "Armutsporno" bezeichnet, poverty porn. Was meinst du damit?
Die Inhalte sind auf das zugeschnitten, was im chinesischen Markt funktioniert, und das ist Armut. Wir nennen es die "African blessing video"-Industrie. Die Menschen in den Videos reproduzieren klischeehafte Vorstellungen von verarmten Dörfern. Sie sollen schmuddelig aussehen. Diese Videos schaden den Kindern und ihren Familien. In einigen tätscheln Chinesen ihren Kopf und geben ihnen Essen. Das mag an "white saviorism" erinnern, aber es gibt da noch eine andere Dimension, und das ist ein starker Patriotismus. In einigen Videos ist patriotische chinesische Musik zu hören.
Nicht jeder in China hält das für angemessen. Dennoch sind diese Videos in China eine große Sache. In der Doku zeigen wir einen Clip aus dem Live-Konzert eines chinesischen Promis. Er zeigt ein solches Video auf der Bühne für Millionen von Fans. Inzwischen werden die Videos auch für Japan, Korea und Malaysia vermarktet.
Welche Reaktionen gab es nach der Veröffentlichung eurer Doku?
Menschen in Malawi haben vor der chinesischen Botschaft protestiert. Ein Sprecher der chinesischen Botschaft hat mit der Menschenmenge gesprochen, die Medien haben berichtet. Es gab Reaktionen von malawischen Minister*innen. Die chinesische Regierung sagte, dass sie gegen solche Inhalte vorgehen wolle. Wie wir erfahren haben, wollte L. nach Sambia fliehen, wurde aber geschnappt und ausgeliefert. Jetzt sitzt er in Malawi im Gefängnis. Eine der Anklagen lautet Kinderhandel.
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Lieben Dank fürs Lesen und viel Erfolg bei der Recherche!
Sebastian