ORN #32 Turbo für die Textarbeit
Ob Radio, Video oder Artikel, am Anfang steht fast immer Textarbeit. Ein paar simple Werkzeuge erleichtern die Recherche mit PDF-Dokumenten, machen versteckte Überarbeitungen sichtbar und bringen mehr Schwung ins Schreiben. Im Interview berichten Karin König und Max Humpert, wie sie den Produzenten eines Deepfake-Pornos entlarvt haben. Willkommen zur Ausgabe #32.
pd3f: Der PDF-Befreier
Screenshot: pd3f
Wofür braucht man das? Die Software pd3f befreit Texte aus PDF-Dateien. Oft lassen sich solche Texte nicht mit der Maus markieren, kopieren und durchsuchen. Mit pd3f kommt gleich ein Bündel an Werkzeugen zum Einsatz, die Inhalte aus PDFs zugänglich zu machen.
Wie funktioniert das? Zuerst erkennt pd3f den Text mithilfe optischer Zeichenerkennung, auch bekannt als OCR (optical character recognition). Außerdem sucht pd3f nach Silbentrennungen und entfernt sie. Das Ergebnis ist ein reiner Fließtext. Die quelloffene Software stammt vom deutschen Entwickler Johannes Filter und wurde vom Förderprogramm Prototype Fund finanziert.
Was muss man beachten? Die Installation ist eher etwas für Fortgeschrittene und verlangt ein paar Handgriffe im Terminal. Eine Anleitung gibt es auf pd3f.com. Wer das Werkzeug einfach nur schnell ausprobieren möchte, kann das mit Klick auf "Jetzt ausprobieren" im Browser tun. Für vertrauliche, bisher unveröffentlichte Dokumente sind Browser-Tools jedoch keine gute Wahl.
Sublime Text: Minimalismus und Geschwindigkeit
Screenshot: Sublime Text
Wofür braucht man das? Am liebsten schreibe ich alle meine Texte zuerst in Sublime Text – auch diesen hier. Es ist der perfekte Editor für Menschen, die beim Schreiben Wert auf Geschwindigkeit und Minimalismus legen. Die Dokumente sind blanker Text, der sich im platzsparenden txt-Format speichern lässt. Formatierungen wie Farben, Fettungen und verschiedene Schriftgrößen kennt der Editor nicht. Dafür ist er extrem schnell. Office-Suiten wirken im Vergleich schwerfällig und träge.
Wie funktioniert das? Sublime Text läuft auf Windows, Linux und MacOS. Eigentlich für Code gedacht, eignet sich der Editor auch für den redaktionellen Alltag. Das txt-Format lässt sich auf so ziemlich jedem Gerät öffnen: Nie mehr Ärger mit unlesbaren Office-Dateiformaten. Und weil es blanker Text ist, gibt es keine Formatierungs-Probleme beim Copypasten in Content Management Systeme wie Wordpress. Mehrere Text-Dokumente lassen sich in praktischen Tabs nebeneinander organisieren, das sieht ähnlich aus wie im Browser. Mit Klick auf View > Layout > Column lassen sich sogar mehrere Text-Dateien nebeneinander anzeigen. Hinter Find > Find In Files steckt eine Stichwortsuche, die beliebig viele Text-Dateien auf einmal umfasst.
Was muss man beachten? Vorinstalliert ist bei Sublime Text nur eine Rechtschreibprüfung auf Englisch. Andere Sprachen lassen sich aber mit einigen Klicks nachrüsten: Gewünschtes Sprachpaket bei GitHub herunterladen > Sublime Text öffnen > Menüleiste > "Sublime Text" anklicken > Preferences > Browse Packages > neuen Ordner "Dictionaries" anlegen > Sprachpaket in den Ordner verschieben > Sublime Text neu starten > Menüleiste > View > Dictionaries > gewünschte Sprache auswählen > "Spell check" mit F6 starten.
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Draftable: Adler-Auge für PDFs
Screenshot: draftable.com
Wofür braucht man das? Draftable vergleicht Dokumente miteinander und erkennt selbst kleinste Unterschiede innerhalb von Sekunden. Das hilft enorm, wenn man verschiedene Versionen von ermüdend langen Gesetzentwürfen oder Verträgen miteinander vergleicht. Gerne schmuggeln Verhandlungspartner einen neuen Satz hinein – oder streichen ein entscheidendes Wort.
Wie funktioniert das? Draftable legt die alte und neue Version eines Dokuments nebeneinander und hebt jede entdeckte Änderung farblich hervor. Hat jemand auch nur ein Komma ergänzt, Draftable bemerkt es. Der anschauliche Vorher-Nachher-Vergleich lässt sich wiederum selbst als PDF speichern.
Was muss man beachten? Draftable läuft kostenlos im Browser, ist dort allerdings auf 300 Seiten begrenzt. Vertrauliche Dokumente sollte man dort nicht hochladen. Die Vorher-Nachher-Vergleiche erhalten einen einzigartigen Link zum Teilen – verglichene Dokumente sind also im Netz abrufbar. Mehr Vertraulichkeit gibt es in der kostenpflichtigen Premium-Version zum Herunterladen, die kostet 129 US-Dollar im Jahr.
Interview: Wie man den Produzenten eines Deepfake-Pornos entlarvt
Karin König (Foto: Judith Wiesrecker); Maximiliam Humpert (Foto: Sarah Schulthes)
Mithilfe von Software lassen sich beliebige Gesichter in Porno-Clips montieren. Die Ergebnisse solcher Deepfakes sehen teils täuschend echt aus. Häufig sind es prominente Frauen, die gegen ihren Willen in den Videos auftauchen. Karin König und Max Humpert vom Funk-Format reporter (WDR) haben einen deutschen Porno-Deepfake-Produzenten entlarvt – und konfrontiert.
ORN: Karin, wie verbreitet sind Deepfake-Pornos?
Karin König: Mir war nicht bewusst, wie einfach man sie findet. Wir nennen die Website nicht, aber die Deepfakes waren nicht versteckt. Manche Produzenten nehmen Aufträge für Deepfakes entgegen und verdienen damit Geld. Mit ausreichend Bild- und Videomaterial kann man jeden Menschen in einen Porno deepfaken. Bis auf eine Ausnahme haben alle Deepfakes, die wir gesehen haben, Frauen gezeigt. Das ist eine von vielen Formen sexualisierter Gewalt im Netz.
ORN: In eurem Video zeigt ihr zwei bekannte deutsche Influencerinnen, die selbst ohne Einverständnis in Deepfake-Pornos auftauchen. Erhöht das nicht Gefahr, dass Leute erst Recht danach suchen?
Karin König: Dahinter steht eine Abwägung. Ja, wir wollen niemanden zeigen, der das nicht möchte. Andererseits wollen wir auf das Problem aufmerksam machen und auch Betroffene vor der Kamera zeigen. Menschen sollen von dem Problem erfahren und sich dagegen wehren können. Die Influencerinnen Julia Beautx und Malwanne haben sich beide auf unsere Anfrage hin über ihre Deepfakes geäußert. Sonst hätten wir sie nicht ins Video genommen. Wir glauben, berichten ist wichtiger als schweigen.
ORN: Ihr habt sogar einen Nutzer aufgespürt, der ein Deepfake-Video von Julia Beautx produziert hat. Wie ist euch das gelungen?
Karin König: Wir dachten zuerst, das wird nicht klappen. Die Leute in den Foren sind anonym und wollen das auch bleiben. Deshalb wollten wir auch nicht öffentlich ins Forum schreiben, dass wir Gesprächspartner suchen. Wir haben in den Foren nach Hinweisen gesucht, und wir hatten Glück. Dieser eine Nutzer hat einen Trailer für einen Deepfake-Porno hochgeladen und dazu geschrieben, man könnte mehr davon sehen, wenn man mit PayPal bezahlt. Wir haben ihn also nach seiner PayPal-Adresse gefragt. Und wenn man so eine Adresse bei PayPal eingibt, dann sieht man den vollen Namen der Person.
ORN: Ganz schön unvorsichtig von dem Typen.
Karin König: Er war überhaupt nicht vorsichtig. Mit seinem Namen konnten wir einfach seine Social-Media-Profile finden: Instagram, Facebook, Xing und Ebay Kleinanzeigen. Die Inhalte auf den Accounts haben zueinander gepasst und gehörten offensichtlich zu einer realen Person.
ORN: Dann habt ihr bei dem Nutzer für 25 Euro Deepfake-Pornos gekauft. Warum?
Karin König: Nur so hatten wir den Beleg, dass er das nicht nur behauptet, sondern wirklich Deepfakes verkauft. Der Preis war relativ gering. Ich weiß nicht, ob wir das bei einem dreistelligen Betrag gemacht hätten. Vor dem Kauf haben wir uns von unserem Justiziariat beraten lassen.
ORN: Manchmal nutzen Online-Kriminelle gestohlene PayPal-Accounts für ihre Geschäfte. Wie habt ihr überprüft, wer hinter dem Account steckt?
Karin König: Wir haben den Nutzer zuerst auf Instagram kontaktiert. Wir dachten uns, falls das nicht sein echter PayPal-Account ist, dann erfahren wir das auf diesem Weg. Am Ende konnten wir kurz mit ihm telefonieren. Am Telefon hat er seine Identität bestätigt und sich dafür gerechtfertigt, Deepfakes zu produzieren. Er wollte aber nicht, dass seine Stimme oder sein Name im Video auftauchen. Das haben wir respektiert. Das Telefonat hat Max geführt.
ORN: Wie praktisch, dass ich auch mit Max sprechen kann! Max, in der Doku lasst ihr das Telefonat per Gedächtnisprotokoll nachsprechen. Warum hat der Nutzer überhaupt mit dir gesprochen?
Max Humpert: Ich glaube, er hat sich ertappt gefühlt, als er auf seinem privaten Instagram-Profil unsere Nachricht bekommen hat. Wahrscheinlich dachte er, sein Geschäft mit Deepfake-Pornos wird niemandem auffallen. Das Telefonat ging vielleicht eine Viertelstunde. Es klang, als würde er nebenbei die Küche aufräumen. Ich hatte den Eindruck, das Telefonat ist etwas, das er abhaken will.
ORN: Was hast du durch das Gespräch über Deepfake-Pornos gelernt?
Max Humpert: Das Interessante an dem Gespräch war, dass ich einen Deepfake-Produzenten quasi auf eines seiner Opfer treffen lassen konnte. Denn ich habe ihm am Telefon das Statement von Julia Beautx vorgelesen. Von ihr hatte er einen Deepfake erstellt, der sehr oft abgerufen wurde. Ich habe ihm vorgelesen, wie unglaublich unangenehm das für Julia Beautx ist. Der Produzent hat dann erstmal gesagt, dass man nicht so viele Fotos von sich hochladen sollte, um nicht gefakt zu werden. Und dass er nicht so darüber nachgedacht hat, wie das für die Leute sein könnte. Über die Frauen sagte er, dass sie ja selbst sexy Fotos von sich bei Instagram hochladen würden, also mit ihrer Sexyness spielen würden. Das als Rechtfertigung dafür zu nehmen, sie in Pornos zu deepfaken, geht halt gar nicht klar. Pures Victim Blaming.
ORN: Klingt für mich, als wäre er ein unreflektierter Teenager.
Max Humpert: Ich kann dir nichts Näheres über seine Person sagen, auch nicht über sein Alter. Am Telefon hat er gesagt, dass er bisher nur 300 Euro mit Deepfakes verdient habe.
ORN: Hättest du gerne noch mehr über ihn herausgefunden?
Max Humpert: Ja, wir haben ihn gefragt, ob wir uns persönlich treffen können, aber das war für ihn keine Option.
ORN: Eine Frage noch an Karin, welche Folgen hatte die Recherche?
Karin König: Einige haben in den YouTube-Kommentaren angedeutet, dass sie jetzt Deepfake-Pornos suchen gehen. Es gab Kommentare wie: "haha, Danke für den Hinweis". Das war aber auch erwartbar. Viele andere haben geschrieben, dass sie schockiert sind und wir sie über das Thema aufklären konnten. Der Porno-Produzent hat nach dem Gespräch mit uns seine Videos offline genommen.
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Alle Werkzeuge schnell und einfach wiederfinden: Ein mit Schlagworten durchsuchbares Archiv der bisherigen Beiträge gibt es auf ornarchiv.wordpress.com. Und hier ist eine übersichtliche Linkliste mit noch mehr Tools.
Lieben Dank fürs Lesen und viel Erfolg bei der Recherche!
Sebastian