Elon Musk macht Twitter zu einem zunehmend feindlichen Ort für Journalist*innen. Ein Grund mehr für einen erneuten Blick auf Mastodon. Im Werkstatt-Interview berichtet Mick Prinz von der Amadeu Antonio Stiftung, warum bei Steam, Discord und Roblox spannende Recherchen schlummern – und wie man sie heben kann. Willkommen zu Ausgabe #35!
Mastovue, Teil 1: Blick in andere Instanzen
🔑 Wofür braucht man das? Wer sich für eine Mastodon-Instanz entscheidet, sieht zunächst die neusten Veröffentlichungen von Nutzer*innen dieser einen Instanz. Inhalte aus anderen Instanzen erscheinen erst, sobald man den entsprechenden Nutzer*innen folgt. Das Werkzeug Mastovue ist wie ein Scheinwerfer in die Tiefe des Fediverse und liefert breite Einblicke in die Inhalte von anderen Instanzen.
⚙️ Wie funktioniert das? Mastovue ist ein Tool des Social-Media-Analysten Luca Hammer. Es läuft direkt im Browser und verlangt keinen eigenen Account. Wer etwa wissen möchte, was auf der Instanz des Datenschutzbeauftragten Baden-Württemberg (bawü.social) gerade los ist, postet "bawü.social" ins Suchfenster, wählt die Option "local" und klickt auf "View Timeline".
Basics für Mastodon findet ihr in der Februar-Ausgabe dieses Newsletters.
Mastovue, Teil 2: Hashtag-Suche
🔑 Wofür braucht man das? Mastovue erleichtert auch die Hashtag-Suche für Mastodon. Wer aktuelle Posts zu einem Thema finden möchte, kann das dort ohne Login direkt im Browser tun.
⚙️ Wie funktioniert das? Wenn ich mit Mastodon einen Post mit Hashtag veröffentliche, dann können zunächst nur Nutzer*innen meiner Instanz diesen Post per Hashtag-Suche finden. Erst, sobald mir auch Accounts von anderen Instanzen folgen, wird mein Post auch für Nutzer*innen auf anderen Instanzen auffindbar.
Wer bei Mastovue also Posts zu einem Hashtag suchen möchte, wählt am besten eine große Instanz als Grundlage für die Suchanfrage. Denn diese große Instanz hat Zugriff auf die Posts von möglichst vielen Nutzer*innen. Für eine Suche nach aktuellen Posts zum Hashtag #Klimakrise, würde ich also die derzeit größte Instanz "mastodon.social" auswählen, "Federated" anklicken und die Suche starten.
📌 Was muss man beachten? Selbst bei der beschriebenen Methode ist es nicht möglich, ausschließlich alle Posts zu einem Hashtag zu finden: Das Fediverse wurde nicht gebaut, um zentral durchsuchbar zu sein.
Interview: So wollen Neonazis Gaming-Communitys radikalisieren
Mick Prinz leitet das Projekt "Good Gaming – Well Played Democracy " der Amadeu Antonio Stiftung. Fünf Teilzeit-Kräfte erforschen, wie "rechts-alternative Akteur*innen zunehmend versuchen, auf Gaming-Plattformen eine menschenverachtende Stimmung zu schüren". Das 2020 gestartete Projekt ist zunächst auf fünf Jahre ausgelegt. Im Interview erzählt Prinz, welche Recherchen in den kaum erforschten Communitys schlummern – und welche Fallen man als Journalist*in vermeiden sollte.
ORN: Mick, wieso beobachtet ihr Rechtsextreme in Gaming-Communitys?
Mick Prinz: Wir wollen ein Bewusstsein dafür schaffen, ohne zu pauschalisieren. Unser Projekt entstand 2020, das war im Jahr nach den rechtsextremen Terroranschlägen von Christchurch und Halle.
Damals wurde die alte Killerspiel-Debatte in Politik und Medien wieder hervorgeholt. Der damalige Innenminister Horst Seehofer sagte, man müsse "die Gamer-Szene stärker in den Blick nehmen". Aber es gibt keine "Gamer-Szene", genauso wenig wie es eine "Szene" von Musikhörenden gibt. Es gibt Rechtsextreme im Gaming, weil es Rechtsextreme in der Gesellschaft gibt.
ORN: Was können eure Recherchen bewirken?
Mick Prinz: Wir wollen eine stärkere digitale Zivilgesellschaft im Gaming. Unsere Recherchen schaffen mehr Bewusstsein für das Problem. So können wir Plattformen, Hersteller*innen und Spieler*innen dazu animieren, stärker gegen Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit vorzugehen.
ORN: Rechtsextremismus im Gaming – reden wir von plumper Hetze oder strategischen Kampagnen?
Mick Prinz: Beides. Wir sind viel auf Steam unterwegs, einer der weltweit wichtigsten Marktplätze für Videospiele mit Foren für viele Millionen Nutzer*innen. Da findest du sowohl diesen stumpfen, rechtsextremen Mist mit Hakenkreuzen und SS-Runen. Es gibt aber auch Accounts, die das subtiler machen und Narrative in Debatten einstreuen.
ORN: Zum Beispiel?
Mick Prinz: Man konnte das deutlich sehen bei den Debatten zum neuen Spiel Hogwarts Legacy. Da gab es unter anderem die Boykott-Debatte rund um die Frage, ob man das Spiel überhaupt kaufen und im Stream zeigen sollte. Es ging um die offene Transfeindlichkeit von Harry-Potter-Autorin J.K. Rowling, um einen rechten Lead-Designer im Entwicklerstudio Avalanche Software, um Antisemitismus in der Harry-Potter-Welt. Wir haben beobachtet, wie sich bekannte rechte Accounts auf Twitch und Twitter gezielt in die Debatten bei großen Influencer*innen eingemischt haben. Sie schreiben dann nichts offen Rechtsextremes in die Kommentarspalte, sondern subtile Dinge, die viele Likes sammeln, zum Beispiel: Der Streamer habe Recht, wenn er das Spiel einfach nur spielen möchte.
“Gerne fragen, ob wir dazu Material haben”
ORN: Es gibt ja zig Orte für Gaming-Fans im Netz. Wie schafft ihr das, euch da nicht komplett zu verlieren?
Mick Prinz: Man kann nicht alles auf dem Schirm haben, vor allem nicht die vielen Live-Chats in den Spielen selbst. Wir machen primär qualitatives Monitoring. Das heißt, wir schauen uns punktuell an, wenn gerade an einem Ort viel passiert. Zum Beispiel gab es auf Steam eine Diskussion über "Black Lives Matter" nach der Tötung des Schwarzen US-Amerikaners George Floyd durch einen weißen Polizisten im Jahr 2020. Da wurde viel plumper Rassismus reproduziert, das N-Wort wurde ausgeschrieben. Die Plattform Steam moderiert super wenig.
ORN: Wo in der Gaming-Welt ist rechtsextreme Radikalisierung am schlimmsten?
Mick Prinz: Steam ist so ein Ort, da gibt es unfassbar viele rechte Accounts, Fangruppen der Wehrmacht und rechtsextreme Modifikationen von Strategiespielen...
ORN: ... eine Modifikation ist eine meist inoffizielle Erweiterung eines Spiels, die etwa die Umgebung oder die Spielmechanik verändert.
Mick Prinz: Wir sind auch bei Twitch und Discord unterwegs und schauen in rechtsextreme Telegram-Gruppen. Man muss aber immer deutlich machen: Rechtsextreme im Gaming sind eine laute Minderheit, wie im Rest der Gesellschaft. Es gibt auch rechtsextreme Studios, die eigene Games produzieren. Das macht zum Beispiel auch eine neurechte, deutschsprachige Bewegung. Viel Erfolg haben diese Bestrebungen aber bisher nicht.
ORN: Wie dokumentiert ihr eure Recherchen?
Mick Prinz: Wir haben im Team eine Person, die qualitative Monitoring-Dokumente erstellt. Mit denen können wir in Interviews gehen, Vorträge und Workshops gestalten. Wir halten fest, wie die Narrative funktionieren. Rechtsextreme arbeiten zum Beispiel mit rechts codierter Sprache, sogenannten Dog Whistles, mit bekannten Verschwörungserzählungen oder Hinweisen auf rechtsextreme Kampfschriften.
Wir wenden uns auch an Journalist*innen. Zum Beispiel hatte ich über unsere Recherchen auf Roblox getwittert. Das ist eine Plattform für vor allem junge Gamer*innen zwischen neun und zwölf Jahren. Dort kann man eigene Mini-Games erstellen und mit anderen teilen. Und – surprise, surprise – wir haben dort viele rechtsextreme Mini-Games gefunden, etwa Figuren in SS-Uniform oder Maps im Vernichtungslager. Darüber haben unter anderem der MDR und die Zeit berichtet. Mit "Unverpixelter Hass" haben wir dazu eine größere, eigene Publikation veröffentlicht.
ORN: Habt ihr viel Material, das mal aufgearbeitet werden sollte?
Mick Prinz: Uns fehlt oft die Zeit, unsere Ergebnisse systematisch in Texte zu gießen. An erster Stelle stehen bei uns Workshops und Vorträge. Wenn Journalist*innen etwas Spannendes auffällt, können sie gerne auf uns zukommen und fragen, ob wir dazu Material haben. Oft agieren Rechtsextreme in Gaming-Communitys abseits der medialen Öffentlichkeit.
“Du nennst nicht den Titel, zeigst keine Screenshots”
ORN: Ist das nicht gerade gut, wenn Rechtsextreme keine Öffentlichkeit bekommen?
Mick Prinz: Naja, sie können dennoch sehr viele Gamer*innen erreichen. Mit medialer Öffentlichkeit kann man wiederum Plattformen zum Handeln animieren. Zum Beispiel gab es nach dem rechtsextremen Attentat in Christchurch unzählige Profile auf Steam, die sich nach dem Attentäter benannt haben. Das Problem haben wir öffentlich gemacht. Nach dem Buffalo-Attentat im Jahr 2022 ist Steam dann deutlich stärker gegen solche Profile vorgegangen. Mediale Öffentlichkeit führt bei Gamer*innen auch zu mehr Sensibilität dafür, dass sie zum Beispiel verstärkt rechtsextreme Inhalte melden.
ORN: Was sollten Journalist*innen beachten, wenn sie über Rechtsextreme im Gaming berichten?
Mick Prinz: Sie sollten nicht über jedes Stöckchen springen. Das habe ich am Anfang leider selbst gemacht. Zum Beispiel hatte eine neurechte Bewegung ein rechtsextremes Spiel angekündigt. Und ich habe den Link zu dem Spiel getwittert mit dem Hinweis, dass man es bei der Plattform melden kann. Das war falsch. Der Tweet ist viel rumgegangen und hat dem Spiel viel Aufmerksamkeit gebracht.
Aber man kann rechtsextreme Narrative auch sichtbar machen und umschreiben, ohne sie zu reproduzieren. Das heißt: Du nennst nicht den Titel eines Spiels, du nennst nicht die Namen, du zeigst keine Screenshots. Auch wen da abgefahrener Mist dabei ist, der vielleicht viele Klicks bringt. Wenn ich berichte, muss ich mich immer fragen: Tue ich den Rechtsextremen mit meiner Veröffentlichung gerade einen Gefallen? Denn die breitere Öffentlichkeit in den Medien kann genau das sein, was Rechtsextreme beabsichtigen.
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