ORN #34: Infos aus Facebook hervorkitzeln
... und ein Interview über eine brisante Adressliste.
In meinem Umfeld nutzt fast niemand mehr aktiv Facebook, doch für Recherchen ist das soziale Netzwerk nach wie vor eine Fundgrube. Mit wenigen Handgriffen lassen sich in Echtzeit politische Kampagnen beobachten und nützliche Ansprechpersonen finden. Im Interview erzählt Ben Kutz vom Funk-Format Walulis, was er tat, nachdem ihm eine Liste mit Privatadressen von Spitzenpolitiker*innen in den Schoß fiel. Willkommen zu Ausgabe #34.
Werbe-Bibliothek: Follow The Money
🔑 Wofür braucht man das? Mit der hauseigenen Werbe-Bibliothek lässt sich Facebook in die Karten schauen. Hier wird Buch geführt, wer wie viele Euro in welche Werbebotschaften pumpt – und an wie viele Accounts diese Anzeigen ausgespielt wurden. Vor allem bei politischer Werbung ist das spannend. Die Werbe-Bibliothek schlüsselt zum Beispiel detailliert auf, welche Ortsverbände oder gar einzelne Abgeordnete ihre Botschaften mittels Werbung verbreiten wollen.
⚙️ Wie funktioniert das? Politische Werbung kann die öffentliche Meinung beeinflussen, das hat die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten im Jahr 2016 eindrücklich gezeigt. Wer genug Geld ausgibt, kann sich durch Anzeigen legal eine hohe Reichweite verschaffen. Die Werbe-Bibliothek ist ein Werkzeug, um in Echtzeit Transparenz herzustellen. Anzeigen, die Facebook als "politisch oder gesellschaftlich relevanten Themen" einstuft, lassen sich auch Jahre später noch nachschlagen. Sonstige Anzeigen verschwinden aus dem öffentlich zugänglichen Archiv, sobald sie nicht mehr aktiv sind.
📌 Was muss man beachten? In der Werbe-Bibliothek sind Anzeigen für Facebook und Instagram verzeichnet. Beide Plattformen gehören zum Mutterkonzern Meta. Politische Einflussnahme spielt sich aber längst nicht nur auf der Ebene von Anzeigen ab. Auch mithilfe von Facebook-Gruppen, -Seiten und -Veranstaltungen lassen sich polarisierende Inhalte verbreiten.
Interne Suchfunktionen: Mit Handarbeit zum Ziel
🔑 Wofür braucht man das? Facebook ist nach wie vor einer der meist frequentierten Schauplätze der digitalen Öffentlichkeit. Leider geht Facebook inzwischen beharrlich gegen externe Recherche-Werkzeuge vor. Die Lebensdauer neuer Tools ist gering. Mit ein paar Kniffen lassen sich aber auch aus der hauseigenen Facebook-Suche nützliche Infos hervorkitzeln.
⚙️ Wie funktioniert das? Hashtags bieten ähnlich wie bei Twitter gezielt Zugang zu Inhalten fremder Accounts: (Facebook-Suchleiste > Suchbegriff mit "#" versehen). Mit der Facebook-Gruppen-Suche lassen sich neue Communitys aufspüren, so haben etwa viele deutsche Städte eine eigene Gruppe. Das ist eine eine Fundgrube für Quellen vor Ort. (Linke Spalte > Gruppen > Gruppen suchen). In den Suchergebnissen lässt sich schnell ablesen, wie aktiv eine Gruppe ist, dort steht dann etwa "10 Beiträge pro Tag". Und wer gezielt Inhalte einer Person finden möchte, klickt im Profil dieser Person auf das Drei-Punkte-Symbol. Es öffnet sich eine Suche, die schwer auffindbare zutage fördern kann, zum Beispiel Posts aus öffentlichen Gruppen oder Posts, in denen die Person getaggt wurde. Als Suchbegriff eignet sich etwa der Name des Accounts.
📌 Was muss man beachten? Facebook geht zwar gegen frei im Netz verfügbare Recherche-Werkzeuge vor. Es ist aber weiterhin möglich, selbst solche Werkzeuge zu programmieren. Nur halten sie selten lange. Wer eine datenbasierte Recherche startet, kann zunächst nach aktuellen OSINT-Tools für Facebook googeln und hat vielleicht Glück.
Snapsave: Facebook-Videos herunterladen
🔑 Wofür braucht man das? Snapsave ist ein Online-Werkzeug, um beliebige Facebook-Videos mit wenigen Klicks als Datei zu speichern. Das kann wichtig sein, um bei einer Online-Recherche Belege zu sichern, bevor ein Account ein problematisches Video möglicherweise offline nimmt.
⚙️ Wie funktioniert das? Facebook bietet keinen offiziellen Download-Button für Videos an. In der Regel lassen sich Videos dennoch herunterladen. Wer ein Händchen dafür hat und gerne den Quelltext einer Website untersucht, braucht dafür selten externe Tools. Für alle anderen gibt es praktische Werkzeuge wie Snapsave. Sie sparen die Such- und Klickarbeit und bieten eine praktische Oberfläche zum Download.
📌 Was muss man beachten? Tools wie Snapsave sind kein offizielles Angebot. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass solche Werkzeug früher oder später aus dem Netz verschwinden – und von Nachfolgern abgelöst werden. Wenn sich daraus eine Faustregel fürs Herunterladen von Social-Media-Videos ableiten lässt, dann diese: Geht nicht gibt's nicht.
Interview: Adressen von Spitzenpolitiker*innen offen im Netz
Was haben die teils privaten Anschriften von Abgeordneten im Netz zu suchen? Ein Team des Funk-Formats "Walulis" und der Süddeutschen Zeitung hat eine solche Liste entdeckt und untersucht. Im Interview berichtet "Walulis"-Redakteur Ben Kutz: Oft haben ausgerechnet Behörden und Parteien selbst die Daten geleakt.
ORN: Ben, eure Recherche handelt von einem Dokument aus dem Internet. Was stand da genau drin?
Ben Kutz: Es ist eine Liste mit rund 150 Namen und 250 Adressen von Bundestagsabgeordneten, die für die allgemeine Impfpflicht gestimmt haben. Aus dem Dokument ging hervor, dass der oder die Verfasser*in diesen Menschen nicht wohlgesonnen ist.
ORN: Du antwortest hier absichtlich vage?
Ben Kutz: Ja, ich möchte keine Anleitung dafür geben, wie man solche Listen selbst finden kann. Deshalb kann ich dir nicht mehr sagen, als dass meine Kollegin Isabell Beer diese Liste auf einer einschlägigen Website entdeckt hat. Wer auf solchen Listen steht, kann bedroht werden. Es stand allerdings nicht ausdrücklich in dem Dokument, dass man die Abgeordneten zuhause besuchen sollte oder Ähnliches.
ORN: Im verschwörungsideologischen und rechtsextremen Milieu werden oft sogenannte Feindeslisten geteilt. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat Personenschutz.
Ben Kutz: Ja, solche Drohungen können auch sehr ernst sein. Das hat im Jahr 2019 der rechtsextreme Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walther Lübcke gezeigt, gegen den auch im Netz gehetzt wurde.
ORN: Wie habt ihr die Adressen überprüft?
Ben Kutz: Das waren ein paar Tage Fleißarbeit. Wir haben die Adressen nacheinander in einer Tabelle abgearbeitet. Die Recherche war sehr simpel, wir haben die Adressen mit Anführungszeichen gegoogelt. Bei über 80 Prozent konnten wir nachvollziehen, dass die Adressen bereits zuvor im Netz zu finden waren. Etwa ein Drittel davon waren offizielle Büro-Adressen, sind also ohnehin öffentlich. Die restlichen Adressen sind aber vermutlich aktuelle oder ehemalige Privatadressen der Abgeordneten.
“Wir wollen auf keinen Fall jemanden in Gefahr bringen.”
ORN: Wie landen solche Adressen im Netz?
Ben Kutz: Mich hat das am meisten überrascht, denn viele Adressen kamen aus staatlichen Quellen. Erstens erscheinen vor Wahlen offizielle Amtsblätter. Dort stehen die Namen und Adressen der Kandidierenden aus dem jeweiligen Wahlkreis drin. Viele geben dafür ihre Büro-Adressen an, aber nicht alle. Manche kandidieren vielleicht zum ersten Mal und haben noch kein Büro.
Zweitens hat der Bundeswahlleiter bis zum Jahr 2017 ein Heft herausgegeben, in dem die Adressen der Hunderten Kandierenden zur Bundestagswahl feinsäuberlich aufgelistet sind. Inzwischen ist das nicht mehr so. Und dann gibt es noch Parteispenden: Viele Abgeordnete spenden an ihre eigene Partei, und Spenden über 10.000 Euro landen mit Namen und Adresse in den Transparenzberichten der Fraktionen.
ORN: Ihr habt einige Abgeordnete im Bundestag vor laufender Kamera mit ihren mutmaßlichen Privatadressen konfrontiert. Wie habt ihr abgewogen, ob das OK ist?
Ben Kutz: Wir haben intensiv darüber diskutiert und mit Juristen gesprochen. Die Adressen haben wir im Video natürlich weggepiept. Wir wollen auf keinen Fall jemanden in Gefahr bringen. Andererseits wollten wir den offenkundigen Missstand glaubhaft vermitteln: Diese Adressen waren offen im Netz zu finden, weil staatliche Stellen sie in vielen Fällen selbst veröffentlicht haben. Offenkundig fehlt es an Sensibilität dafür, wie gefährlich das sein kann.
ORN: Seit 2021 ist Doxing strafbar. Sind die veröffentlichen Privatadressen im Amtsblättern jetzt illegal?
Ben Kutz: Nein, das Gesetz formuliert es so, dass das Veröffentlichen personenbezogener Daten nur dann strafbar ist, wenn darin das Ziel zu erkennen ist, jemanden in Gefahr zu bringen. Das kann man zum Beispiel einem Amtsblatt nicht unterstellen. Ich fände es ja schön, in einer Welt zu leben, in der alle wissen können, wo ihre Abgeordneten wohnen. Leider ist genau das in den letzten Jahren immer gefährlicher geworden.
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